Mittwoch, 15. Januar 2014

Bernd nicht

Der Himmel sieht aus wie gelungener Kunstunterricht. Voller Wahrheiten. Wir fangen mit dem Hintergrund an. Ein Pinsel ist kein Filzstift. Schwarz und Weiß haben auf einem Bild nichts zu suchen, wir sind ja keine Anstreicher, sagt Frau Schmidt, wer die Wolken weiß und den Nachthimmel schwarz malt, der schaut nicht richtig hin. Weißundrotundgelb macht Hautfarbe. Und Schwarzundrotundgelb unsere Fahne, die wir aber nicht malen sollen, weil das mit dem Werkzeug und den Pflanzen in der Mitte und dem Pinsel in der 2. noch zu schwer ist. Dafür ist später noch genug Zeit. Frau Schmidt mag die Natur lieber als Fahnen. Frau Schmidt hat einen praktischen Busen. Darauf kann sie die Bilder, die gelungen sind, ablegen und loben. In der 4. Klasse kommt Frau Bering. Frau Berings Figur ist attraktiver, aber sie ist für den Kunstunterricht weniger geeignet. Frau Bering ruft nach vorne. Auch sie erklärt Gelungenes und den Rest am hochgehaltenen Bild. Frau Bering wählt nach objektiven Qualitätsmaßstäben. Und die gelungenen Kinder werden sehr erfahren im Hochhalten. Einmal, das Thema der Stunde lautet "Mutti bei der Arbeit", darf auch Bernd nach vorne. Bernd saß ganz vorne, rechts vom Lehrertisch. Freiwillig sitzen dort nur die Streber. Bernd saß nicht freiwillig dort. Seine Mutter arbeitet bei der Eisenbahn, glaube ich. Wir wussten nicht viel über Bernd. Bernd hat eine schöne schwarze Lok gemalt, fastnachtschwarz, mit Blau drin und Schornstein und großen Rädern. Davor steht seine Mutter. Sie hat ein rotes Kleid an und blonde Haare, damit man sie besser sieht. Bernd darf nach vorn. Bernd hat alles richtig gemacht. Bernd darf nach vorn, vor die Klasse, die er sonst nur im Rücken hat. Wir kannten ja nur seinen Hinterkopf. Bernds Haare sahen immer aus wie ein leeres Vogelnest, verlassen. So, als würde ihm nicht oft jemand über den Kopf streichen. Denn der hätte das dann doch merken müssen und ihm einen Kamm gereicht. Bernd geht nach vorn und dreht sich zur Klasse, er lächelt verlegen und stolz auf sein Bild, das er hochhalten darf, und die Klasse kichert und fängt an zu lachen und lacht und hört nicht mehr auf. Frau Bering ruft "Ruhe", und Bernd ist ganz still. Nur zwei Tränen laufen ihm über das Gesicht, wie die Lok über das rote Kleid.

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