Freitag, 28. Februar 2014

Liedende

Das Licht ist gegeben dem Mühseligen. Drum liebt man die Nacht und ihre Sterne, die so dunkel sind und weit und weg. Die Nacht ist ein Saisonartikel. Wie die Jugend. Und ist sie gegangen, kommt ein hübscher Himmel zum Vorschein. Prosaisch in Hellblau und Weiß. Entschlössen sich seine Wölkchen, sich überreden lassen zu können, in zarter Parallelstreifenformation zu gefallen, erschien uns der Himmel über B. wie ein Baldachin über der spiegelnden See, als ein von Malwine in weiser Voraussicht mit manufactumkatalogschöner Wäsche frisch bezogenes Bett, in das wir fielen. Dann knipsten wir das Licht aus, lauschten noch ein wenig den Wellen und einem fernen Schluchzen und sagten einander brav Gute Nacht. Nett.

Donnerstag, 27. Februar 2014

Fakultativ falsch

Der Tag trägt wie ich ein "Eigentlich", das falsch ist und schmeichelt wie ein Kind mit müden Füßen, auf dem Arm. Er ist ein Trugschluss, und ich weiß es, denn er mischt seine Farbe, die sich vertraut gibt und erkannt wird als das, was sie ist, erst wenn sie verblasst und zur Auslage wird, zum fließenden Früher, wie einst postkartenschönes Orange oder Blau: dann und später. Bei Lichte betrachtet spielt der Tag nun Theater. Wie ich. Und sein Stoff ist ganz leicht, ganz schwebend, fast durchsichtig gewebt, beinah wie das Nichts aus nachtschwarzer Wolle, das gesponnen zu Tränen zum Stück wird, das uns jedes Mal rührt, weil wir feige sind und die Feigheit der Braven erkennen, die wir verachten als das "Eigentlich" unseres Tuns. Ach, lass nur. Die trocknen ruhig im Stillen, ganz von alleine im Dunkel des halbleeren Rangs. Und wär ich nicht feige, dann riefe ich Bravo, wenn sonst niemand klatscht, in die Stille als großes Hallo. Heute noch. Oder Morgen. Eigentlich. Oder doch. Vielleicht. Oder so.

Mittwoch, 26. Februar 2014

6:03

Dunkelblau endet der Schlaf. Vor dem offenen Fenster beginnt das Ende der Nacht. Der Tag wird Frühling. Er müsste sich anfühlen wie Los und Schön und Jubilieren. Wie krokusgelbes Blühen. Ach ja, in fünf Minuten. Noch einmal umdrehen. Noch müde den zwitschernden Spatzen beim Wachsein zuhören und feilschen mit der Zeit. Wie jeden Morgen mit einem schwachen Blatt. Für Frühtau fehlen hier die Berge. Trotzdem vallera.

Sonntag, 23. Februar 2014

In Unordnung

Dreiundzwanzig Kinder schauen in die Kamera. Das Wetter ist mild, sie tragen Kniestrümpfe und kurzärmelig, und die Sonne der letzten großen Ferien spiegelt sich noch auf ihren Gesichtern. Aufgestellt auf drei Stufen und lachend, denn Mathe fällt aus oder Deutsch oder Heimatkunde. Lachen und Zahnlücken und Sommersprossen oder Grimassen, wenn der Photograph sein Achtungundjetztbitteallerechtfreundlich sagt. In der zweiten Reihe steht das dicke Kind. Es lächelt. Es hätte nichts gegen Mathe gehabt oder Deutsch oder Heimatkunde, denn es hat gute Zensuren. Es grüßt immer freundlich, lässt Christian abschreiben und manchmal Andrea und petzt nicht. Es kann gut vorlesen, dann hören alle gerne zu, weil es bei Fragesätzen hinten die Stimme hebt und das mit der Betonung kann und Fremdwörter weiß wie Mesopotamien. Das stand in einem Buch, das das dicke Kind einmal gelesen hat. Sowas merkt sich das dicke Kind dann. Das dicke Kind liest viel. Wenn die anderen zum Fußball gehen oder Kassetten hören. Das dicke Kind kommt gut zurecht. Es ist vernünftig und grüßt immer freundlich, lässt abschreiben und petzt nicht. Es sagt ordentlich Danke, als die Bilder verteilt werden. Es steckt den Umschlag mit dem Bild in die Mappe, ordentlich, damit er nicht knickt. Zu Hause schließt es ordentlich die Tür zu seinem Zimmer hinter sich, holt den Umschlag mit dem Bild aus dem Hausaufgabenheft und sieht es nicht an. Es weiß, es ist das dicke Kind in der zweiten Reihe. Ordentlich schreibt es das Jahr und ebenso ordentlich die Klasse auf den Umschlag. Die blaue Tinte zerfließt, als eine Träne darauftropft, ganz unordentlich.

Samstag, 22. Februar 2014

1987

Manche Zeiten sind wie vergiftete Wörter. Sie haben einen Beigeschmack wie Kunstgewerbe. Wie 13 sein oder 14 und große Ferien und nicht wegfahren, und jeder Tag ist gleich, und niemand ist da, nur der Sommer, die Zeit und der Zwang ihrer Freiheit. Alle sagen: Freu dich doch. So gut hast du's. Das, was Jugend heißt, scheint weiter weg als der Ernst des Lebens, viel weiter noch als Wladiwostok, und Kinder müssen glücklich sein im Sommer. Sie freuen sich an sportlichen Wettkämpfen und messen ihre Kräfte im Spiel. Sport und Spiel klingen dann wie Drohungen. Geh spielen und hab Spaß, sitz doch nicht immer zu Hause. Du willst doch auch was erzählen können. Der Himmel ist blau wie Wimpel und Sommerwind. Fröhlich sein und singen vor Fröhlichkeit und Freude, jung zu sein. Auch wenn alles nicht richtig ist.  

Donnerstag, 20. Februar 2014

Am Rande, bemerkt

Eine Krähe schaut mich wissend an, glaube ich. Sie kann wegfliegen. Sie bleibt. Eine Litfaßsäule rotiert, beschimpft von einem Mann, der nicht allein ist. Nie. Ich warte, und das Radio läuft und übertönt, was er sagt und die Straßen und ihren fließenden Lärm. Mitte. Er tanzt für sich ein stummes Pas des deux in Moll, ohne picardische Terz. Ohne mich. Plötzlich hört er auf, schaut konzentriert auf die Uhr, holt ein Schlüsselbund aus der Tasche seines grauen Blousons und geht davon. Ganz ruhig. Als hätte er sein Ziel und die Zeit gefunden. Die Krähe nickt vom Bürgersteig und behält es für sich. Es wird Grün. Flugzeit zu Quality time steht auf der Straßenbahn. 

Mittwoch, 19. Februar 2014

Erhöhte Luftfeuchtigkeit

Die Luft ist heute wie ein seltenes Tier, das man beobachten darf. Ganz fein und mutig. Sie traut sich, wird sichtbar. Sie setzt kleine Tröpfchen ins Gesicht. Sie ist überall, wie immer, aber heute da und stets und ständig so. Sie umgibt und sagt: Ich bin hier. Dein Schirm ist albern, trau dich auch. Du wirst nicht nass. Und wenn schon. Patsch und Plitsch und Platsch und Pfütze. Leben eben. Trau dich.

Montag, 17. Februar 2014

Salon Karin

Hierher verirrt sich der Tag nur als alte Geschichte, die raschelt als rot-weißes Band: Nicht weiter ab hier. Doch komm nur, wenn du dich traust! Ausladend warten Gardinen hinter trotzigen Scheiben, die staubig mehr blind sind als Glas, auf einen stillen Tod. NOCH heißt das Wort, das über allem liegt und als Gestern zum Gruße nickt wie ein in Würde vergessender Greis. Noch ist alles da und die Birke in der Regenrinne erdenfrei dem Himmel viel näher als alles, was planvoll tatsächlich geschieht. Ihr Stamm trägt die Farben der vorletzten Zeit: zusammengesetzte Vergangenheit, die abschnittsweise Wahrheit, schwarz-weiß à la mode wie ein Herrenhaarschnitt im vergilbten Journal. Es war wohl einmal. Ob sie es weiß? Ich schreibe FRÜHLING auf das Fensterbrett, zeigefingerdick. Einfach so.

Sonntag, 16. Februar 2014

Der Mut des Dieter U.

Dieter war eine Nummer auf einem Aushang in der Musikschule. Preiswerte Stimmung. Mein Sohn spielt seit fast zehn Jahren Klavier. Seitdem stimmt Dieter. Eigentlich ist Dieter Pianist. Man kann ihn buchen. Wenn du Sonnabend Zeit hast, komm doch vorbei. Nichts Großes. Vernissage. Prenzlauer Berg. Christinenstraße. Bunte Aquarelle. Toskanasonne. Statt Seidenmalerei. Schnatternde Frauen. Dieter spielt Cembalo. Die Frauen schnattern über Kunst. Lauter schnatternde Frauen vor bunter Toskana. Dieter hört auf. Mitten im Stück. Er steht auf, fordert Gehör. Ruhe für die Kunst. Die Frauen gehen zum nächsten Bild, legen den Kopf schief und schnattern weiter. Armer Dieter.

Freitag, 14. Februar 2014

So gut wie Ade oder Ach oder Dann und Danach

Ich bin eine Frage der Zeit, doch die hält dich nicht auf in deiner Suche nach einem Wörterbuch für die Suche nach dem veraltenden Abschied. Vielleicht bist du klein, ja wirklich, du gehst wie ein kleiner Mann und wirst kleiner im Gehen, wie der Ruhm der anderen im Niedergang nach dem Sieg, ein Geograph, der keine Grenzen kennt und seine Antwort gibt auf alles. Eine Geste wie eine große schwarzseelige Fliege, die lauert und ungefragt verscheucht wird - so lästig - mit wortloser Hand. Is scho recht so. Du lachst mit den Augen und ich lächle zurück, wo ich bleibe, stehe mit wehendem Mantel, offenem Haar - theatralisch nieselnder Regen, der wie Tränen fällt und ein Vorhang zum Abspann im müden Gesicht - dir gegenüber und werde sagen: Es sind nur zwei Buchstaben, AD, ganz simpel, so einfach ist das und mehr nicht. Jetzt kannst du gehen, sag ich dann und gehe selbst. Ganz einfach und still wie Gute Nacht.

Donnerstag, 13. Februar 2014

Los

Hier passiert nicht viel. Das Leben verläuft parallel zu den Gleisen. Die dritte Gerade, die niemanden interessiert. Weil hier ja nicht viel passiert. Der Weg am Bahndamm führt immer geradeaus. Immer weiter. Hinaus. Vielleicht. Weg. Hauptsache weiter. Bald kommt kein Bahnhof mehr. Bald bin ich zu Hause und fange an.

Mittwoch, 12. Februar 2014

Im Verbund

Eine Zeitlang ist Glas Materie zwischen fest und Fluss: umkehrbares, reversibles Aggregat. Ein vierter Zustand. Vor der Tür steht schon wieder die Katze, tick-tack macht sie, wie die Zeit auf der Uhr, und schaut mit den Wolken durch die Scheiben, mir zu, wie ich sie beobachte. Wie Einschlüsse im reinen Quarz sehen sie aus, milchig, mit fettigem Glanz von Bergkristall, wenn er bricht, weil er nicht spaltbar ist, auch nicht nach 15 Jahren, muschelig. Der Tag ist ein Mittwoch, mindestens, ein Verrechnungsscheck, der nun eingelöst ist. Endlich. Nicht umkehrbar.

Dienstag, 11. Februar 2014

Morgen

Er fängt mit dem Magazin an am Donnerstag. Freitag Politik. Am Dienstag kommen Feuilleton und Chancen. Chancen immer nur kurz. Gott sei Dank. Nie Reisen. Vielleicht am Wochenende. Sie würde mit ihm zu Ikea fahren, um eine Knoblauchpresse zu kaufen oder ein Nudelsieb. Vielleicht mag er Nudeln. Zu Ikea fahren Paare mit Zukunft und Plänen. Ob er Nudeln mag? Sie sieht ihm zu, wie er liest. Sorgfältig faltet er das Papier. Gewissenhaft. Redlich. Jeden Morgen. Sie sieht ihm nach durch die zerkratzte Scheibe. Die Türen schließen. Bis zur Brücke, bis er klein wird und sich auflöst im Tag. Bis morgen.

Montag, 10. Februar 2014

Beiläufig

In den Poren des Asphalts glitzert gefrorener Tau wie ein abgegriffenes Bild, das die Erinnerung bemüht an gestern oder die Zeit danach. Ein Aggregatzustand wie verschwendetes Talent, ein blauer Tag ohne Wolken, die sich in den Pfützen spiegeln, in denen Eis Blumen und gelbe Blätter fängt. Darauf könnte ich Geschichten erzählen, sagst du, voll verschenkter Schönheit und flüchtig wie das Herz, das du beim Gehen mit links in den Raureif der Scheibe gemalt hast. Vielleicht erinnerst du dich morgen noch daran.

Sonntag, 9. Februar 2014

Februarsonntag, an dem die Sonne scheint, es nach Frühling riecht und ich augenblicklich aufstehen und meine Sonnenbrille suchen muss

Der Morgen glänzt und schimmert. Althochdeutsch für Blau, das Schornsteine und Regenrinnen leuchten lässt wie die Fenster der Häuser am See. Er sendet Wellenlängen im Intervall zwischen 460 und 480 nm, die in der Nase kitzeln, wenn man nach draußen sieht auf die Straße. Noch schlafen alle. Der Tag ist wach und wie ein Kleid, das zu schön ist, um nicht ausgeführt zu werden. Wie ich. Die weißen Häuser gegenüber, in denen Menschen wohnen, die ich nicht mag, tragen die Konturen noch kahler Bäume auf nackter Haut. Die Sonne seziert mit kühler Grazie und zaubert Scherenschnitte. Voller Ironie und so schön, dass ich ihr verzeihe. Man muss die Augen fast schließen, um zu sehen. Kopf hoch und Augen zu und los. Ganz einfach ist alles! Doch! 

Donnerstag, 6. Februar 2014

Vorstellung

NR ist die Abkürzung. Doch, das musste mit reinschreiben. Und irgendwas mit kreativ und unabhängig und selbstbewusst. Aber bloß nicht starke Frau, das klingt wie Übergröße und verzweifelt. Ja, mach ich, nee, alles ok. Mir geht's gut, wirklich. Ja, ich ruf dich wieder an. Versprochen. Ich lege auf. Sie meint's ja nur gut. Gelegentlich überredet sie mich zum Ausgehen. Sie hat ja recht. Hat ja auch Vorteile. Ich nehme dann immer eins von den Streichholzheftchen mit, die auf dem Tresen stehen. Manchmal finde ich die in meiner Jackentasche, und dann komme ich mir vor, als führte ich ein wildes, verwegenes, ruchloses Leben. Im Winter, wenn man muss, zünde ich Kerzen damit an. Nicht oft. Aber weil ich auch nicht oft ausgehe, halten sich Verbrauch und Nachschub die Waage. Würde ich rauchen, müsste ich öfter ausgehen. Weil ich gar kein Feuerzeug besitze. Vielleicht sollte ich anfangen. Ich könnte beim Schreiben versonnen dem Rauch hinterherblicken und mir vorstellen, du würdest mich ansehen, wie ich versonnen dem Rauch hinterherblicke, und du würdest mich ansprechen, um Feuer bitten, obwohl auf dem Tresen Streichholzheftchen stehen, und schön finden und talentiert, weil ich so treffend die Farbe des Rauchs beschreiben kann, der aufsteigt und dem ich versonnen nachblicke und dabei eine treffende Beschreibung seiner Farbe suche. Beiläufig würde ich erwähnen, dass er mich an die Dächer von Paris erinnert, großstädtisch grau, durchzecht, ein Zettel mit einer unleserlichen Nummer als Trophäe, wenn die Bahn wieder fährt. Morgens. Ich war nie in Paris. Aber so muss es sein. Das weiß man doch, nicht wahr? Rauchen tötet. Das Leben auch.

Mittwoch, 5. Februar 2014

Freundliche Mühewaltung

In meinem Auto leuchtet eine kleine rote Schneeflocke von minus zwei bis plus zwei Grad Celsius: Obacht, ich könnte fallen, weiß und unschuldig, aber ich bin nicht von Dauer, bin flüchtig. Ich bin eine dünne Eisschicht. Ich trag dich nicht, du kannst nur schauen. Ein fragiles Schauspiel, das man am besten von Brücken betrachtet. Ein wenig von oben herab. Das ist vorbei jetzt. Auf der Spree schwimmen die letzten Reste Eis. Sie sehen aus wie prosalose Plastiktüten. Dazwischen Wellen. Nichts trägt. Das weiß ich jetzt auch. 

Dienstag, 4. Februar 2014

Vis centrifuga

Ich kaufe eine Karte fürs Kettenkarussell. Ich klettre auf den Turm ohne Leiter und dreh mich wie die Welt um dich. Ganz schnell und hoch und Augen zu. Und unter mir nur das Blau zu deinen Füßen. Immerhöherhöchste Zeit. Wenn du fragst, sag ich Ja, ruf ich, und du lachst, als ich lande. Ich wache auf. In meinem Haar klebt Zuckerwatte. 

Montag, 3. Februar 2014

Mehr bitte

Ich schaue dem schlafenden Kind mit den müden Augen zu, die blau sind und strahlen, selbst jetzt. Unter der Decke liegen wir wie unter dem grauen tauenden Februarschnee, der das Gras nur noch halb verdecken kann, der bestaunt wurde, als er neu war und da und unberührt und leicht und fein gefallen gefiel. Wie vom Himmel. Heiter. Gefeiert wie Berlinale-Filme, die im Sommer niemand mehr kennt. Einmal Überschwang und roter Teppich und goldener Vorhang und Schlange stehen nach Billets, die du später im Wintermantel findest und dich kaum erinnern kannst, wofür. Eine unbestimmte Erinnerung an ein vages Gefühl. An Glück. Das bleibt.

Sonntag, 2. Februar 2014

quod erat expectandum

tja, was soll man dazu sagen
war ja wohl keine Überraschung
musste ja so kommen
wussten doch alle 
war ja klar
sah man doch gleich
sah man kommen 
Mensch, nun hab dich nicht so
das Leben geht doch weiter
da musste doch nicht weinen
is doch nich so schlimm
nun reiß dich mal zusammen
bist doch schon groß
haste denn kein Taschentuch
hier, nun putz dir die Nase und geh spielen
lass dich doch nicht so gehn
bist doch noch jung
musst mal unter Leute
kannst dich doch nicht ewig verkriechen
naja, dann eben nicht
schade drum
versucht hamwas zumindest
komm