Sonntag, 23. Februar 2014

In Unordnung

Dreiundzwanzig Kinder schauen in die Kamera. Das Wetter ist mild, sie tragen Kniestrümpfe und kurzärmelig, und die Sonne der letzten großen Ferien spiegelt sich noch auf ihren Gesichtern. Aufgestellt auf drei Stufen und lachend, denn Mathe fällt aus oder Deutsch oder Heimatkunde. Lachen und Zahnlücken und Sommersprossen oder Grimassen, wenn der Photograph sein Achtungundjetztbitteallerechtfreundlich sagt. In der zweiten Reihe steht das dicke Kind. Es lächelt. Es hätte nichts gegen Mathe gehabt oder Deutsch oder Heimatkunde, denn es hat gute Zensuren. Es grüßt immer freundlich, lässt Christian abschreiben und manchmal Andrea und petzt nicht. Es kann gut vorlesen, dann hören alle gerne zu, weil es bei Fragesätzen hinten die Stimme hebt und das mit der Betonung kann und Fremdwörter weiß wie Mesopotamien. Das stand in einem Buch, das das dicke Kind einmal gelesen hat. Sowas merkt sich das dicke Kind dann. Das dicke Kind liest viel. Wenn die anderen zum Fußball gehen oder Kassetten hören. Das dicke Kind kommt gut zurecht. Es ist vernünftig und grüßt immer freundlich, lässt abschreiben und petzt nicht. Es sagt ordentlich Danke, als die Bilder verteilt werden. Es steckt den Umschlag mit dem Bild in die Mappe, ordentlich, damit er nicht knickt. Zu Hause schließt es ordentlich die Tür zu seinem Zimmer hinter sich, holt den Umschlag mit dem Bild aus dem Hausaufgabenheft und sieht es nicht an. Es weiß, es ist das dicke Kind in der zweiten Reihe. Ordentlich schreibt es das Jahr und ebenso ordentlich die Klasse auf den Umschlag. Die blaue Tinte zerfließt, als eine Träne darauftropft, ganz unordentlich.

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