Mittwoch, 30. April 2014

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Es gibt ein Musikzimmer. Seine Fenster gehen hinaus zum Garten: bodentief, geflügelt ...  Büchmann und seine Worte ... ins Grün gehen sie und der Blick durch ihr Glas. Langsam fällt der Boden ab zum Ufer. Die Besitzer des Hauses geben acht auf ihr Leben. Die Höhe im Falle eines Falles. Hinten glitzert das Wasser des herrschaftlichen Sees tröstlich wie Katzengold, das disdodekaedrische Pyrit, das den Betrachter narrt. Hart ist es, nicht formbar. Pyrit, das Leben, der See. Ein Segelboot weht vorüber. Weiß fängt sein Segel den Wind, wie im Flug, in der Ferne, en passant. Das Boot ist schön, so schön, dass man weiß, dass darauf nur schöne Menschen ... Wahre Schönheit und das Innere, das, was zwischen den Deckeln steht und geflügelt wird. Weich wie Daunen müssen die Finger über das Elfenbein gleiten, hohes Schwarz und flach und weiß wie ein Strand, an dem man sitzt und sagt, das Leben sei schön, und einen Grashalm zwischen die Lippen nimmt und jungenhaft mit Schalk und nackten Füßen, bar, sich küsst. Der Flügel hat die Farbe des Parketts. Fremd wie ein Neuzugang in der Bibliothek, noch auf der Suche nach dem Platz, der vorbestimmt ist durch Namen und Titel, warte ich ab, was passiert.

Sonntag, 27. April 2014

Zukünftiger Kompost

Der Rasen müsste gemäht werden. Er sieht wie eine Wiese aus. Wenn man auf der Bank sitzt, kitzeln die Gräser an den Füßen. Und die Gänseblümchen stehen vasenhoch. Es nieselt. Wenn es regnet, kugeln sie sich klein und weiß. Wie kleine kluge Worte, die sich schlicht aneinanderreihen wie Perlen, erkennt ihre Schönheit nur der Aufmerksame. Barfuß im feuchten, weiß gepunkteten Grün, mit kalten Füßen, verstehe ich, was sie meinen. Ein paar für die Vase aus Meißner Porzellan, die einmal eines der Kinder erbt: Wellenspiel. Mohn und Gedächtnis sind nur Dekor, wenn wir sie zu Erben machen. Zwei scharfe Schwerter. Auf dem Grund. Oder in die Presse, wie Klee mit vier Blättern. Wenn man Glück hat. Zwischen zwei Deckel. Dicke Bücher. Kleine kluge Worte. Und kalte Füße. Heute. Aber morgen müsste wirklich mal gemäht werden ...

Mittwoch, 23. April 2014

Frieden

Von links nach rechts geht der alte Mann. Ich stehe an der Ampel und sehe ihm zu, wie er von links nach rechts die Straße quert. Langsam geht er, aber nicht gebrechlich. Er ist alt. Vielleicht 80, vielleicht stand er vor 30 Jahren in den besten Jahren oder 1960. Vielleicht, wer weiß? Wer will es wissen? Wie lange dauert eine Rotphase? 30 Sekunden? Gedanken schweifen. Kern und Koma bilden den Kopf des Kometen. Sichtbar ist nur sein Schweif. Ich hab es wohl mehr mit dem Kopf. Hat mein Sportlehrer gesagt. Hockstrecksprünge, Schlagballweitwurf oder F1, Dreierhopp, hopp-hopp-hopp trillert die silberne Pfeife. Klaus G. (Zehnkampf Rom Olympia) hat recht: Fräulein Wagner, mit Ihnen gewinnen wir keinen Krieg. 30 Jahre ändern nicht viel an ewigen Bestenlisten und ewigem Versagen beim 1000-Meter-Lauf um ein Rasenquadrat auf dem Schulhof. Vorne rechts stehen Fliedersträucher und die Betonplatten schief. Ganz helles Lila, kein weißer Flieder, der Duft zu jeder Runde ein Geschenk. Vierneunundzwanzig für eine Vier, und die Gedanken schweifen ab in helles Violett: Die Hoffnungskirche in Pankow ist einer der bedeutendsten Sakralbauten des späten Jugendstils. Man beachte die Farbgebung. Ganz außergewöhlich. Sehen Sie nur. Mondlichtfarben im Kontrast. Kircheninneres Rosé, Fliederfarben, Stuck-, Lichtgrau. Schwarze Vertikale. Farblicher Dialog. Sternenhimmel. Sterne. Kometen. Sterne. Einfach stolpern, fallen, ganz böse, so dass alle besorgt herkämen und Ohgottogott sagten und den Krankenwagen riefen und mein blutendes Knie und die blutenden Hände, Blut über Blut, ganz rot, ganz rot wird der Beton unter dem Flieder, entsetzt betrachteten, der Ohnmacht nahe, weil doch das ganze Blut, da muss doch der Hausmeister kommen und ein Unfallbericht, verunfallt, was für ein merkwürdiges Wort, und weinten und Herrn G. anklagend fragten: Warum? Aus Feigheit habe ich nie aufgegeben. Gelb für mich. Der alte Mann erreicht die rechte Seite. In seiner Linken hält er Flieder. Er sieht sich kurz um und lächelt. Wir mussten ja keinen Krieg mehr gewinnen.

Montag, 21. April 2014

Gute Gegend

Sie gießt meine Füße - platsch - und lacht leicht und ganz blond noch in ihren dritten Sommer. Gießkannennass wird der schwarze Stein unter uns, glänzend, marmorschön schillernd, spiegelglatt, sonntagsautowaschpfützensonnenölbunt. Wochenendblau ist der Himmel. Die Wolken tragen das Villenweiß noch nicht vererbten Wohlstands der Schwiegerelterngeneration. Besuchsweise. Uneinsehbar, freistehend und heckengeschützt. Eine Hummel brummt, selbstverständlich, buchsbaumrund. Noch ein Eis, Omama! Lachen. Ich schließe die Augen, lächle. Vor Glück. Alles ist fern hier und jetzt, schön und einfach, weit weg wie Berlin bis zum Fahrtvorsichtigundkommtgutnachhaus: Das eigene Leben muss erst morgen wieder beginnen. 

Mittwoch, 16. April 2014

Schattenfugen

Mauerwerk ist ein schönes Wort. Da hat sich jemand Mühe gegeben. Stein auf Stein. Fleißige Handwerker. Und am Ende des Tages, wenn die Sonne dem Feierabend Guten Abend sagt, steht etwas, das Schatten wirft. Wenn es dunkel wird, schalte ich die Schreibtischlampe ein, um sehen zu können, nach welcher Choreographie meine Finger tanzen. Ich türme Buchstaben aufeinander. Klack. Klack. Klack. Ganz hoch, so dass man von oben über die Mauer sehen kann. Klack. Klack. Klack. Ich glaube an Wunder und Wörter in hohen Dosen.

Sonntag, 13. April 2014

Numerus clausus

Im Garten steht ein Topf. Aus einer Kastanie wächst darin ein Baum. Die Möglichkeiten zur Entfaltung sind beschränkt. Das, was man stattlich nennt und im Park nach hundert Jahren mit einer Plakette ziert, auf der eine Zahl steht wie ein Titel am Revers als Ausdruck gezählter, vermessener Bedeutsamkeit, wird sie nie werden, die Kastanie im Topf im Garten. Der Blumentopf bewahrt vor nummeriertem Stolz. Ihr Schatten ist klein. Und doch: Darin verstreuen sich zutraulich wie Studentinnen im Proseminar zu romantischer Dichtung blaublütige Vergissmeinnicht. Naiv und schön in der Kavalierperspektive, mit versetztem Blick. Botanisch unauffällig. Vielleicht ist eine dabei, die Katharina heißt und groß wird und als blaue Blume endet. Ab und zu gieße ich. Das bin ich ihr schuldig.

Donnerstag, 10. April 2014

Aus dem Westen

Tauentzientapfer stecken die kleinen dicken Füßchen in schwarzen Lackschuhen, die dem Regen nicht trutzen können. Sie trippeln durch die Pfützenlandschaft des Bürgersteigs. Trotzig und stolz wie ein Vorurteil. Jeder Schritt sagt: Wir gehören nicht hierher. Schon aus Prinzip. Der Tag ist eine schirmlose Zumutung, ruinös wie vor 40 Jahren die Fahrt aus der großen Freiheit nach Berlin, in die Zone, den Osten, die halbe Hauptstadt eines eingebildeten Landes: Tante Anneliese war stets strikt in ihren Ansichten wie der Forderung nach einer Betonung auf dem -lie-. Wir dürfen ja frei denken. Ach ihr Armen. Zum Glück. Also ich könnte ja nicht. Hast du denn keinen edelsüßen Paprika, meine Liebe? Mit hoher Stimme steigt sie die drei Silben des Gewürzes hinauf wie die Treppe zum Triumph, um ganz oben als Fragezeichen des Vorwurfs schuldbewusst gehört in der Leere der Küche zu verhallen. Kaffeezeit. Da kann man doch mal klingeln, gell. Mutter lächelt unter Tränen, die nur ich sehe. Tränen der Freude, ach je, musst doch nicht weinen. Ihr könnt ja nichts dafür. Ach herrje, sieh sie dir nur an, Kurt, sie weint. Nein, ganz spontan, das ist eine Überraschung, gell? Konzert, aber bis Mitternacht wieder raus, Hotel, Ku'damm, natürlich, nein. Freiwillig länger will man ja nicht, gell, Kurt, haha. Glockenhelles Lachen, glockengießerwallend: Tante Anni und Onkel Kurt. Mercedes und 4711 und Glück gehabt. Bestimmt längst tot. Ich biete der Trägerin der schwarzen Schuhe meinen Schirm. Sie lächelt. Dankbar. Jetzt habe ich Glück.

Dienstag, 8. April 2014

Herbstzeitlos

Langsam, als hätte ich einen traurigen Traum geträumt und suchte noch nach der Zeit, wache ich auf. Weckerlose Müdigkeit. Schräg steigt die Sonne durch die Reihe der Häuser auf der anderen Seite der stillen Straße unter mir. Kahl wirft sie den Schatten der Dächer auf den blätterlosen Asphalt. Kaltfrontgezackt, pythagoreisch gesetzt. Die Sonne der Zwischenzeit ist klug, kühl. Sie berechnet, um zu blenden, macht sich rar wie weihnachtlicher Schnee, der ersehnt wird, und bleibt meist vermisst. Ihre sommerliche Schwester aber verschenkt sich. Sie ist ein Kind, dem alles zufällt. Sie ist schön und darf freigiebig Schönheit fordern, von denen die sie bescheint: Sonne und Strand machen glückliche Kinder blond, selbst die dunkelhaarigen. Ich kann sie hören. Die Gardine sperrt die Sonne aus, aber nicht ihr ferienleichtes, freibadfreies, julijunges Lachen. Sommersonne ist die glückliche Kindheit der anderen. 
Es ist November. Der Tag beginnt mit einem S. Jetzt bin ich wach.  

Samstag, 5. April 2014

Blattgold

Gärten in der Draufsicht. Lauter kleine Gärten, die aus dem zweiten Stock aussehen wie winzige Länder auf dem Globus einer anderen Welt. Fremd und fern wie Kolonien unter einem Mikroskop. Die Menschen in den kleinen Gärten folgen einem Rhythmus der Geselligkeit. Und kurz bevor das Jahr sich dem Ende zuneigt, harken sie die Blätter laubabwerfender Bäume und Sträucher zu brennbaren Haufen zusammen. Rituale der Ordnung. Medaillenwürdig wie der Formationsflug südwärts strebender Vögel. Herr Brehme harkt bedächtig Beet für Beet. Herr Brehme hat eine schöne Frau. Sie trägt ein fein gebundenes Tuch über den dunklen Locken. Goldene Ohrringe zieren sie. Man sagt, Frau Brehme würde sich die Nägel vor dem Unkrautjäten lackieren. Man sagt, Frau Brehme passe nicht in die kleinen Gärten in der kleinen Welt. Niemand hat je mit Frau Brehme gesprochen. Frau Brehme sieht schön aus und fremd aus der Ferne des zweiten Stocks. Der Garten der Brehmes ist vorbildlich. Geharkt. Gepflegt. Herausgeputzt zu jeder Zeit. Wenn im April die Mandeln blühen und die Blutpflaume, hat Herr Brehme viel zu tun. Weiß verschneit sind seine Beete. Frau Brehme strahlt. Doch Herr Brehme muss harken. Kleine zarte Blütenblätter. Aus dem zweiten Stock, aus der Ferne, ein vergeblicher Kampf. Herr Brehme ist tapfer. Seine Frau ist schön. Herr Brehme hat viel zu tun. Auch im Garten. Sein Leben kämpft gegen Unordnung und Gerücht. Die Sonne strebt dem Ausgang entgegen. Es ist Zeit, zu gehen. 

Freitag, 4. April 2014

Unter uns Ghostwritern

Du schreibst. Schreibst und wartest. Auf Antwort. Von mir. Und die Zeilen, die du schreibst, werden Linien, die das Hier so ganz nebenbei zum Nebeneinander verdammt. Keine Kunst, parallel, nur Geometrie. Sie machen dich einsam und stumm, ohne Rat, wie der Raum und das weiße Papier, das Dazwischen, das alles weiß und alles immer für sich behält wie die große Schwester der Tat. Du wartest und fragst: Noch Fragen? Du hörst nichts, doch der Tag spielt Musik. Wohl Czernys Etüden, denn der Nachbarsjunge übt brav Klavier, vielleicht auch das Leben, das Tun, wenn er flucht. Es ist sein Spiel. Schwarz auf weiß. Du hörst zu und wartest. Schule der Geläufigkeit. Wieder, auch hier.

Donnerstag, 3. April 2014

Oberflächenspannung

Ich stehle mich davon. Ich setz mich ins Auto, tanke voll, fahre ziel- und plan-, ach einfach drauflos. Ich will gar nicht ankommen. Nur fahren. Nur weiter. Ich müsste so vieles tun, was man müsste und sollte, und wichtig wär's auch, denn wo kämen wir hin, wenn einfach jeder einfach so und überhaupt. Mein Kopf ist ganz voll, immer dieser Inhalt. Ich kann gar nicht denken. Immer dieser Inhalt in allen Köpfen. Ein einziger Widerstand. Ich will nur noch Leere und Nichts, meine Ruhe und Stille in Grün oder Blau, ein Schwimmbad, wenn alle gegangen sind, und ich sitze am Rand, dort wo es tief wird und ich gerade noch stehen kann, und das Wasser bis zum Kinn wird langsam ganz glatt, wird zum Nichts und ich selbst darin so ein bisschen wie ewig. Ganz glatt ist die Oberfläche, nichts darunter, nur Tiefe. Nur lauter Gedanken, H2O und Chlor. Untertauchen und die Stille klingt altmodisch wie ein Glöckchen über der Tür beim Hineingehen, nach Neu und Beginn und Alles-auf-Anfang, nach Auf-null-zurück-und-mal-sehn, nach Na-junges-Fräulein-was-darf-es-denn-sein-ich-empfehle-und-rate-zu. Nein. Der Tag ist schön, und ich borge ihn mir, auf Kulanz und Vertrauen, denn ich weiß, den gibt's nicht nochmal, nicht zurück. Ich fahre los, einfach weiter, ich werde schon sehen, wohin man dann kommt. Muss ich denken? Nein! Und ich denke: Doch. Ohne Widerstand gäb's keinen Toast.