Mittwoch, 23. April 2014

Frieden

Von links nach rechts geht der alte Mann. Ich stehe an der Ampel und sehe ihm zu, wie er von links nach rechts die Straße quert. Langsam geht er, aber nicht gebrechlich. Er ist alt. Vielleicht 80, vielleicht stand er vor 30 Jahren in den besten Jahren oder 1960. Vielleicht, wer weiß? Wer will es wissen? Wie lange dauert eine Rotphase? 30 Sekunden? Gedanken schweifen. Kern und Koma bilden den Kopf des Kometen. Sichtbar ist nur sein Schweif. Ich hab es wohl mehr mit dem Kopf. Hat mein Sportlehrer gesagt. Hockstrecksprünge, Schlagballweitwurf oder F1, Dreierhopp, hopp-hopp-hopp trillert die silberne Pfeife. Klaus G. (Zehnkampf Rom Olympia) hat recht: Fräulein Wagner, mit Ihnen gewinnen wir keinen Krieg. 30 Jahre ändern nicht viel an ewigen Bestenlisten und ewigem Versagen beim 1000-Meter-Lauf um ein Rasenquadrat auf dem Schulhof. Vorne rechts stehen Fliedersträucher und die Betonplatten schief. Ganz helles Lila, kein weißer Flieder, der Duft zu jeder Runde ein Geschenk. Vierneunundzwanzig für eine Vier, und die Gedanken schweifen ab in helles Violett: Die Hoffnungskirche in Pankow ist einer der bedeutendsten Sakralbauten des späten Jugendstils. Man beachte die Farbgebung. Ganz außergewöhlich. Sehen Sie nur. Mondlichtfarben im Kontrast. Kircheninneres Rosé, Fliederfarben, Stuck-, Lichtgrau. Schwarze Vertikale. Farblicher Dialog. Sternenhimmel. Sterne. Kometen. Sterne. Einfach stolpern, fallen, ganz böse, so dass alle besorgt herkämen und Ohgottogott sagten und den Krankenwagen riefen und mein blutendes Knie und die blutenden Hände, Blut über Blut, ganz rot, ganz rot wird der Beton unter dem Flieder, entsetzt betrachteten, der Ohnmacht nahe, weil doch das ganze Blut, da muss doch der Hausmeister kommen und ein Unfallbericht, verunfallt, was für ein merkwürdiges Wort, und weinten und Herrn G. anklagend fragten: Warum? Aus Feigheit habe ich nie aufgegeben. Gelb für mich. Der alte Mann erreicht die rechte Seite. In seiner Linken hält er Flieder. Er sieht sich kurz um und lächelt. Wir mussten ja keinen Krieg mehr gewinnen.

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