Freitag, 31. Januar 2014

Kommode

Manchmal öffne ich die Schublade. Ganz hinten in der Ecke unter anderen Gedanken liegt ein schöner. Er hat einen weißen gezackten Rand wie alte Bilder in falschen Formaten zwischen Seiten aus hellgelber Pappe, die Spinnennetz-Pergamentpapier trennt. Manchmal hole ich ihn hervor, betrachte ihn, als wäre er ein Tier in einem Terrarium, vertraut nur mit mir, an mich gewöhnt aus Beständigkeit, das ankommt, wenn ich vor der Scheibe stehe und sachte klopfe. Der Gedanke ist nicht groß, vielleicht wie ein Herz, das Platz hat für mich. Von dort schreibe ich Ansichtskarten und stelle mir vor, dass du zum Briefkasten gehst, den Schlüssel umdrehst und die Augen schließt, weil du plötzlich Angst hast, er könnte leer sein, wie du dir Mut zuredest und Ausreden und Entschuldigungen erfindest für die Leere, die du fürchtest. Das denke ich dann in meinem Gedanken. Vorsichtig falte ich ihn wieder zusammen, stecke ihn in seinen Umschlag und lege ihn zurück, ganz hinten in die Ecke.

Donnerstag, 30. Januar 2014

Cha-Cha-Cha

Bis zum ersten Stock rankt Efeu. Nun muss die Sonne die Lücken suchen, will sie durchs Fenster, um Streifen zu zeichnen im Zimmer dahinter auf dem Parkett im Halbschatten helllichter Tage. Da bin ich gern, im Halben irgendwie ganz. Als würde ich unter der Chaiselongue liegen bei einem Tanztee und die Füße der anderen bei ihren Gedanken belauschen, im Zwielicht, bei Chassé auf 4 und 1. Efeu ist ein altruistisches Gewächs. Aber das weißt du ja.

Mittwoch, 29. Januar 2014

Oxidationsprozesse

Ich habe eine alte Sorte erwischt. Mit Stellen. Die Schale kommt ab. Schuldbewusst, jaja, ich weiß das mit den Vitaminen. Trotzdem. Ich bin auf der Suche nach der Kindheit. Apfelstückchen in Plastiktüten schmecken danach, nach Freibad, Hofpause mit Ausgang um das Rasenquadrat, nach Wandertagen in Zweierreihen und Zugfahrten nach Leipzig, zu Tante Luzi und Onkel Hellmuth mit der bangen Frage, wann fahren wir wieder nach Hause. Später nach Abiturklausuren, nach unglücklicher Liebe, Allgemeinbildung, Kabale und Schiller im Schreibtisch. Äpfelsäure ist eine chemische Verbindung aus den Gruppen der Dicarbonsäuren und Hydroxycarbonsäuren. Der Duden kennt sie nicht. Ich sitze im Bett mit einem Obstteller für das Kind und einem Buch mit Bauernhoftieren, die Kinder lieben, obwohl nur aus Büchern. Sie pickt die Mandarinchen wie Rosinen, ich die nackten Äpfel. Erinnern heißt auswählen. Sagt Grass. Das Leben ist wie Literatur, die darauf wartet, geschrieben zu werden, bevor es braun und mehlig und weich wird von der Zeit. 
Bald bin ich so alt wie Dungeons & Dragons.

Dienstag, 28. Januar 2014

Man sollte

Hinter den Häusern wird der Himmel langsam und rosa zum Tag. Eher sachlich und kühl soll er werden, nicht kalt. Im Schnee von gestern, der brav die Januarschuld einlöst, kann man Spuren hinterlassen, wo noch niemand war. Man sollte Aufkleber drucken mit Poesie und sie an Laternenpfähle kleben, ganz oben, wo noch niemand war und wo kein Mensch hinkommt, der nicht das Ziel kennt. (Psst, das verrate ich dir.) Ganz oben an der Laterne, noch über dem Leuchten, ist man dem Himmel näher. Mathematisch korrekt und neorauchgrau fallen Flocken.

Montag, 27. Januar 2014

Hypothetischer Imperativ

Hmmm, ich weiß nicht. Besser nicht. Oder doch? Was meinst du, soll ich wirklich? Ach, mach es einfach so, wie du denkst. Ja, aber was denn? Jetzt sag doch mal, sag mal. Duhu, sag mal. Du wirst ganz bestimmt das Richtige tun, da bin ich ganz sicher. Ja, aber was denn nun? Und wenn nicht? Sag doch mal... 
Ich hab dich auch lieb.

Sonntag, 26. Januar 2014

Meine Rache an Pankow ist das Glück

1100 Berlin, Mendelstraße 43, 2. Stock im Hinterhaus. Blick über Kleingärten, auf Freibad und Sprungturm. Die Sommer der Kindheit müssen grün sein, frisch wie der Mai, weil man doch jung ist, und blau und weiß, denn die Wolken am Himmel sind von Tübke: Sie verkünden die Zukunft, die wir bauen. Im Treppenhaus tanzt
Staub. Hurtig/Fritzsche haben wieder nur gefegt, aber nicht gewischt. Sagt Herr Kohne. Der weiß sowas, und dass Teppichklopfstangen Volkseigentum sind und nicht dafür da, daran Schweinebaumeln zu machen. In meinem Zimmer kann ich hören, wie
Herr Kohne schimpft und das Wasser in der Sonne glitzert. 10 Meter sind wie Schweinebaumeln am Volkseigentum von Herrn Kohne. Ich bin 9 oder 8 und nicht sehr mutig. Letzten Sommer fragten meine Söhne: Biste eigentlich schon mal von 'nem 10er gesprungen? Wir fahren eine Stunde durch Berlin. Pankow sieht jetzt anders aus. Das Haus ist jetzt sehr hübsch. Es gibt jetzt ein Klingelschild. Für Vorder- und Gartenhaus. Darauf steht niemand, der mich noch kennen würde. Die Bäume sind gewachsen. Die Zukunft, die wir bauen, ist 30 Jahre her. Dem Turm fehlt die letzte Plattform. Sie ist auch weg. Seit Ende 2004 gibt es neue europaweite Normen für Sprungtürme. Ist ja nur 'n 7er. Springste trotzdem? Als ich zur Decke zurückkomme, sagen sie: Cool, Mami. Ja, finde ich auch.

Samstag, 25. Januar 2014

Vintage

Als ich so alt war wie sie, hatte ich ein Kaleidoskop, ein Fernrohr aus roter Pappe mit einem Boden aus milchigem Glas. Und darin waren lauter Juwelen und Schätze. Es mussten so viele sein, denn immer sahen die Mosaiken anders aus. Ich war unendlich reich. Grüne Smaragde und blaue Saphire und Goldstücke und Rubine. Ich saß alleine im Flur, der war lang, schmal und dunkel, wenn man alle Türen schloss. Dann war der weinrote Teppich ganz vornehm, und die Lampe war ein leuchtender Stern oder Mond. Jedenfalls keine Sonne, denn dann wäre es ja ganz warm, aber der Flur hatte gar keinen Ofen. Und würde ein Ritter kommen, so wäre der Glanz seiner Rüstung bestimmt zu hell für den kleinen dunklen Flur. Das wussten auch die Ritter und blieben darum fern. Und außerdem war ich ja gar keine Prinzessin. Das hatte Lars gesagt. Manchmal bin ich traurig. Dann brauche ich das Kaleidoskop nicht. Dann weiß ich, dass Lars recht hat. Und die Schätze sind ja sowieso nur Plastik. Und der Mondstern hat ein Blumenmuster, das hässlich ist und jetzt wieder modern. 

Freitag, 24. Januar 2014

Holzmarktstraße 66, Reklame

Mein Lieblingsort ist provisorisch wie ein Seniorenstift. Er sammelt das Leuchten verschwendeten Talents, das Früher vergangener Buchstaben. Er ist ein großer melancholischer Ort, ein Museum fraktaler Lyrik und Weisheit: Friert man Worte tief, so kann man sie zerschneiden wie Kartoffelsuppe in kleine Portionen für den täglichen Bedarf, die sich aufwärmen lassen in einem neuen Topf und die dann berichten von dem, was sie einmal erzählt haben. Ich komme zu Besuch, bringe Kuchen mit und Zeit und rede gar nicht viel, sondern höre mir die Geschichten der alten Leute an.

Donnerstag, 23. Januar 2014

Aufbruch

Er trinkt seinen Kaffee ganz schwarz. Und manchmal sieht er von seinem Buch auf und lächelt. Ich kenne ein paar seiner Freunde beim Namen, und manche Mädchen mag ich sehr. Ich würde sie allesamt siezen in ihrer Jugendlichkeit, so schön und klug und begabt sind sie. Ich weiß nicht mehr viel über sein Leben, aber manchmal sitzen wir zusammen in der Küche am Tisch und lachen wie früher. Ich weiß, er trinkt seinen Kaffee schwarz. Manchmal nimmt er mich in den Arm, und ich lehne meinen Kopf an seine Brust. Er nennt mich Mutter, und dann küsst er mich auf die Stirn und sagt: Alles wird gut.

Mittwoch, 22. Januar 2014

Ach Schnee

Der Januarmittwochmorgen zeigt die kurze Zeit der Schönheit einer monochromen Welt. Schneeschieber auf Kopfsteinpflaster klirren kalt und metallen. Das Geräusch weißer Stille. Winter in der Stadt ist wie französischer Rap. 

Ach ja, wem's gefällt...

Dienstag, 21. Januar 2014

Kondensgestreift

Dienstags bin ich eine alte Frau. Ich habe keine Eile und denk mir aus, wie es ist, ein Kind zu sein, ein Mädchen mit geflochtenen Zöpfen. Dann liegt der Tag noch vor mir. Darf ich bitten? Dann muss ich aufstehen. Aber nicht heute. Ich bleib einfach liegen. Augen zu. Ich mag heut nicht die Ecken sehen, in denen Spinnweben hängen. Die sind noch von gestern. Meine Decke über dem Kopf ist blau und weiß liniert wie ein früher Sommerhimmel. Und ich trinke Milch, die ist süß, und ich bin flink, damit sich keine Haut bildet. Heute muss ich nicht tanzen...

Montag, 20. Januar 2014

Hessische Straße

Mein Zahnarzt hat seine Praxis im dritten Stock eines alten Hauses in einer alten Straße in Mitte. Es gab eine Zeit, da lag sie am Rand meiner Stadt. Sitzt man im Behandlungsstuhl, blickt man durch alte Doppelfenster, die alter Kitt im Rahmen hält, in die Krone eines alten Baumes. Es ist November und der Baum schon kahl. Die Sonne scheint schon um drei Uhr nur noch beinah. Der Baum ist schwarz vor grauem Himmel. Über dem Zahnarztstuhl hängt die künstliche Sonne von der Decke mit Stuck aus einer anderen Zeit. Sie scheint auf Kronen. Manchmal aus Gold. Und auf Gedanken, denen man nicht entkommen kann, weil der Kopf sie als Erinnerung festhält. In den alten Fensterrahmen hält der alte Kitt alte Scheiben. Früher, als die Erinnerungen noch Pläne waren und Träume, gab es solche Scheiben oft. Die hatten Fehler, Schlieren, waren uneben, nicht ganz plan. Pockig wie das Land. In der linken Scheibe bricht eine Blase das Licht wie eine kleine Glaskugel. Bewegt man den Kopf, fängt die Welt dahinter an zu schwimmen. Planlos. Die Welt hinter Glas. Am Rand. In meiner Schule sahen wir durch solche Fenster in das Land. Im Unterricht, der langweilig war, konnten wir fliehen, es genügte ein Nicken, ein Blinzeln, ein Augenblick. Die Kunst liegt im Wechsel der Perspektive. Der Makel muss zum Zentrum der Betrachtung werden, bis er unsichtbar wird: Beweg den Kopf, langsam, bis der Hintergrund gnädig wird. Eine Gabel im Geäst, nur blau wie im Musikraum ganz oben oder strauchgrün wie im Werkenkeller, in dem wir bei Herrn Sasse Kakteenständer basteln mussten oder Schlüsselanhänger. Aus rotem Kunstleder. Mit Liebe. Die Kopfbewegungen verraten mich. Na, wo sind wir denn gerade? Weg.

Sonntag, 19. Januar 2014

In der Mitte ein weites Feld

Der Mariannenplatz ist wie eine Tochter mit zwei Brüdern, die die Stufen auf und ab hüpft im Kreis. Blond und wild wie der Himmel zwischen den Türmen des alten Hauses, der immer nach Gewitter aussieht, als würde etwas kommen, das man erwartet, von dem man jedoch nicht weiß, wann. Auf und ab im Kreis. Wie Geschichte.

Samstag, 18. Januar 2014

Stimmt so

Tiere füttern im Görlitzer Park ist wie Tauben vergiften bei Kreisler. Beides macht nur Vergnügen mit Abstand, Distanz, ohne Mütze, die selbstgefilzt und kratzig auf Kinderköpfen hockt als Statement und gegen die Kälte des sonnigen Sonnabendmittags. Vielleicht auch keine Taube sein. Lieber zuhören. Beflissene Eltern fragen ihr Kind mit eindeutig deutschem Akzent: What do you think about having lunch, Kasimir? Städter erklären ihren Stadtkindern Natur, ich auch. Am Beispiel von Eseln, die man nicht mehr füttern darf. Am Zaun steht: Diät. Meinem Kind ist's egal, wir schaun lieber Hühner. Gebraten sehen die später wie Fischstäbchen aus und stehn auf der Kinderkarte im Edelweiß. Davor scheint die Sonne, und zwei Stühle sind frei mit Blick auf die Wiese und lauter Gedanken. Wenn man zuhört, nicht taub ist, erfährt man die Wahrheit: In zehn Jahren werdet ihr es akzeptieren, wenn ihr Glück habt, sogar realisieren. Ich schwöre euch, ehrlich. Wer ist bloß Mach 1? Er soll cooler sein als Kay One. Das sagt der Typ vor der Wiese. Der muss es ja wissen. Der hat's voll drauf. Ey, ich bin 32 und seit 2004 hier. Ein anderer breitet eine Decke aus und auch seine Arme, er geht herum und fragt: Hat vielleicht jemand mal 'n bisschen Musik? Du kannst doch dein Handy hier zu mir legen. Eher nein. Ich tanz auch für euch. Ich höre lieber dem Typen zu, der zu ist und philosophiert, denn er war zuerst da, und er hat recht. Mein Kaffee ist schwarz, ohne latte und Schuss. Auch das ist ein Statement, eine Aussage, logisch. Ich zahle, geb Trinkgeld für die grandiose Aussicht vom Berg. Zum WC im ersten OG, vorbei an Glaube, Liebe und Hoffnung. Mehr Wahrheit geht nicht am Samstag um 1 im Görlitzer Park, ich schwöre.

Freitag, 17. Januar 2014

Das mittlere Kind

Im grauen Ohrensessel der Zeit sitzt er und lächelt - ein wenig müde noch - in den Freitagmorgen hinein. Er sagt, mir ist kalt, und ich decke ihn zu mit grauer Wolle, die wärmt seinen Bauch. In ihr sind Geschichten, verknüpft zur Geschichte des Tages, der anfängt, aus Nacht wird zum Jetzt. Eine Minute noch, sagt er, ach bitte, und reckt sich, wie die schwarzweiße Katze, die ich nicht mag. Die schaut durch die Scheibe und weiß so viel mehr. Denn sie nimmt auch die Wege, die wir gar nicht sehen, durch den Garten, das Jahr und den Tag. Husch, husch, sag ich, und sie springt davon. Er steht auf. Los geht's, alles beginnt.

Donnerstag, 16. Januar 2014

Leihgabe

Die Hoffnung stirbt, wenn auch zuletzt, wenn niemand mehr glaubt und die Liebe verloren scheint wie die Zeit. Wenn niemand mehr sucht, bleibt nur Hoffnung, gefunden zu werden. Im Dunkeln, weil dort alle blind sind. Schwarz ist die Nacht wie Süßholzlakritz, das gute, das den Blutdruck treibt wie beim Verliebtsein: Zwei finden sich im Glauben an Schicksal und Zeit, deren Lauf sie verschlingt. Liebst du? Mehr als sehr!

Mittwoch, 15. Januar 2014

Bernd nicht

Der Himmel sieht aus wie gelungener Kunstunterricht. Voller Wahrheiten. Wir fangen mit dem Hintergrund an. Ein Pinsel ist kein Filzstift. Schwarz und Weiß haben auf einem Bild nichts zu suchen, wir sind ja keine Anstreicher, sagt Frau Schmidt, wer die Wolken weiß und den Nachthimmel schwarz malt, der schaut nicht richtig hin. Weißundrotundgelb macht Hautfarbe. Und Schwarzundrotundgelb unsere Fahne, die wir aber nicht malen sollen, weil das mit dem Werkzeug und den Pflanzen in der Mitte und dem Pinsel in der 2. noch zu schwer ist. Dafür ist später noch genug Zeit. Frau Schmidt mag die Natur lieber als Fahnen. Frau Schmidt hat einen praktischen Busen. Darauf kann sie die Bilder, die gelungen sind, ablegen und loben. In der 4. Klasse kommt Frau Bering. Frau Berings Figur ist attraktiver, aber sie ist für den Kunstunterricht weniger geeignet. Frau Bering ruft nach vorne. Auch sie erklärt Gelungenes und den Rest am hochgehaltenen Bild. Frau Bering wählt nach objektiven Qualitätsmaßstäben. Und die gelungenen Kinder werden sehr erfahren im Hochhalten. Einmal, das Thema der Stunde lautet "Mutti bei der Arbeit", darf auch Bernd nach vorne. Bernd saß ganz vorne, rechts vom Lehrertisch. Freiwillig sitzen dort nur die Streber. Bernd saß nicht freiwillig dort. Seine Mutter arbeitet bei der Eisenbahn, glaube ich. Wir wussten nicht viel über Bernd. Bernd hat eine schöne schwarze Lok gemalt, fastnachtschwarz, mit Blau drin und Schornstein und großen Rädern. Davor steht seine Mutter. Sie hat ein rotes Kleid an und blonde Haare, damit man sie besser sieht. Bernd darf nach vorn. Bernd hat alles richtig gemacht. Bernd darf nach vorn, vor die Klasse, die er sonst nur im Rücken hat. Wir kannten ja nur seinen Hinterkopf. Bernds Haare sahen immer aus wie ein leeres Vogelnest, verlassen. So, als würde ihm nicht oft jemand über den Kopf streichen. Denn der hätte das dann doch merken müssen und ihm einen Kamm gereicht. Bernd geht nach vorn und dreht sich zur Klasse, er lächelt verlegen und stolz auf sein Bild, das er hochhalten darf, und die Klasse kichert und fängt an zu lachen und lacht und hört nicht mehr auf. Frau Bering ruft "Ruhe", und Bernd ist ganz still. Nur zwei Tränen laufen ihm über das Gesicht, wie die Lok über das rote Kleid.

Dienstag, 14. Januar 2014

Auskunft

Ich habe ein Telephon. Einen Apparat. Schwarz und schwer. Niemand ruft an. Niemand hat die Nummer. Weil ich sie für mich behalte. Manchmal hebe ich den Hörer ab und lausche ins Nichts. Weltraumleere wie in einer Muschel am Strand. Oft schaue ich ihn nur an, den Apparat. Und stelle mir vor, wer alles anriefe, wäre der Anschluss bekannt. Dann schließe ich die Augen und mein Herz im Zimmer ein. Im Dunkeln fühle ich mich weniger einsam, weil ich nicht sehe, dass ich allein bin. Am anderen Ende die Welt. Ich könnte hinein, wenn ich wollte. Hinaus in den Raum. In die Leere. Zu den anderen.

Montag, 13. Januar 2014

Epopöe auf Parkdeck D: Germanisten raten zu Konsonantenverdopplung bei Autoren-Workshops

Natascha, ruf ich, kauf ein Ö! Zwischen Potsdam und Siegen fehlt Poesie! Mit Kleingeld und Großmut zu Schlemihl ums Eck, was haste zu bieten, fragt dieser sie keck. Natascha holt aus und bietet im Tausch ihr A für sein Ö im Mantelversteck. Herr Schlemihl addiert und lüpft kurz den Hut, lehnt ab, sagt nein, danke. Ein A ist nicht gut, zu inflationär, zu häufig, verbraucht: Ja, Aber und Amen, Jaja und Aha - akademisch-artistisches Trallallala. Das A wiegt zu leicht, denn ein Ö macht sich rar. Enöff is enöff, ade, l'art pour l'art. Der Markt macht den Preis, sagt Herr Schlemihl zum Tausch. Mir fehlt nur ein N, seufzt der Autor, der lauscht. Natascha rät zu gebuttertem Fisch, sagt: Autor, nun trau dich, fahr endlich das Rennen, wage das Leben, und gönn dir ein NN.

Sonntag, 12. Januar 2014

Silvesterreste


Das Jahr ist nun zwölf Tage alt, der Januar fast halbiert. Die guten Vorsätze sitzen wie die Freundin der Schönen beim Tanze. Ohne Aufforderung noch. Doch mit geraden Rücken und Prinzip, aufrecht und wartend. Sie leuchten matt im Glanz der Schönen, wie die Perlzwiebeln, die beim Silvesterfondue übrig geblieben sind. Sie hoffen auf ihre Zeit, die rennt, bis sie verloren ist und mit Getöse untergeht. Am Ende Proust und wortreich Prost: Es möge nützen, Mademoiselle Oignon Grelot. Zu gut noch zum Entsorgen. Und so schenkt Silberfolie Gnade. Eine Frist. Elf Monate oder zwei Wochen, ein, zwei Tage oder zwölf. Gekühltes Warten auf Erlösung: Der Januar erfrischt noch ohne Kälte. Fast Frühling in den Zweigen, Saft. Es hat geregnet in den letzten Nächten, und an den Geländern perlen Tropfen, silbrig, träge, ohne Last. Sie tragen die Wahrheit als Zeugen der Taten, die geschehen sollten. Janus' Vortrag der Gewinne und Verluste auf ein neues Konto. Mit Tamtam. Und Feuerwerk. Das Jahr ist neu. Die Schulden bleiben. Und auch die Schuld, der Vorsatz, bleibt. Denn Dolus verkörpert die Täuschung. Er drückt Dein Auge zu, bis Tränen kommen. Er häutet die Zwiebel gekonnt. Der Schein ist schön, die Freundin tanzt. Darf ich bitten? Einen Versuch ist's wert. Nun denn, wohlan!