Montag, 31. März 2014

Oder Glück

Jeder Abend ist ein Abend vor der Nacht, an deren Ende der Morgen graut. Unbelehrbar und immer. Vielleicht besteht das größte Glück einmal darin, seiner Tochter Zöpfe zu flechten, in denen sich die Zeiten verschlingen und die Erinnerung an die Liebe von gestern zur Hoffnung wird auf das, was wird. Aber das, was ist, ist. Vielleicht kommen wir einmal der Zeit zuvor. Dann küssen wir uns zur guten Nacht und sagen uns wider besseres Wissen der besserwissenden Klugen Alles wird gut in der Hoffnung auf das Grauen des Morgens. Oder Glück.

Freitag, 28. März 2014

Aufschwung

Frühsport ist Fraternisieren mit dem Tag, der beginnt. Abseits der Straße stellt die Natur der Unordnung den laufenden Füßen Fallen und lockt. Durch das Gebüsch, das erst anfängt zu grünen, weil der Frühling noch jung ist im März, scheint eine Müllhalde aus Tetrapaks teilentrahmter Milch ruhmlos wie Sonne durch das Wolkengeäst eines liegengebliebenen Tags, der sich nicht entschließen kann, klar zu werden im Bekenntnis zur Farbe, der als weißes Rauschen in Deckung verharrt, im Dunst, ungefähr und für sich, morgens schon vergilbt und verblichen. Es ist ihre Zeit. Sie bleibt stehen und lächelt, sie sieht und sie weiß: Das Leben liegt vor ihr. Sie muss weiter. Fort. Immerfort.

Mittwoch, 26. März 2014

Nicht mehr


Niemand weiß, dass ich dir schreibe. Nicht einmal ich. Lauter Geschichten, von denen ich gar nichts weiß, bis ich sie lese und sehe: Alle sind wahr und ausgedacht bis zum Ende. Und wenn ich so viele geschrieben habe, dass es reicht und ich aufstehen kann und gehen, erzähle ich sie vielleicht sogar mir: ... und weil es gestern nur eine Kassette gab, die kam aus dem Westen als CrO2, als die Welt noch ganz klein war wie das Mädchen darin, kann sie heute noch singen wie Mireille Mathieu und Milva und Gitte vor dem Jazz, ganz ehrlich, nur nicht so schön. Und die Kinder hören mir manchmal zu und lachen, weil ich es ernst nehme, mit mir. Merci Cherie kennen sie und wissen, so ist das Leben wegen der Liebe, ganz einfach und wahr und zu Ende gedacht eine kleine Geschichte in einer kleinen Form und die Erinnerung an die Musik von früher. Von mir. Nicht mehr.

Montag, 24. März 2014

Heilstätte

Der warme Wind in der Stadt am Freitag macht Kopfweh wie zu langes Denken. Der Kopf ist voll. Immer muss man denken. Immer. Man sollte in den Wald. Manchmal muss man in den Wald, das ist man ihm schuldig. Er gibt sich so viel Mühe mit der Natur. Doch ist man im Wald, heißen Großeltern plötzlich Margarete und Hans, und die Bäume beobachten und lachen, weil man die Orientierung verliert und keine Kiesel dabeihat, weil die Großeltern Hans und Margarete heißen und man immer denken muss. Und die Bäume bewegen sich und sehen immer anders aus, weil sie den Wind machen. Und man kann erst wieder aufatmen, wenn man die Autobahn hört, die wie Rettung klingt. 

Donnerstag, 20. März 2014

Kunstdünger

Aber sollte ich sagen und halte doch den Mund und die Nase zu, weil ich die Veilchen nicht riechen will, die veilchenblau blühen auf hoffnungsvoll grünem Grün und nach Veilchenduft duften, und der Frühling jedes Jahr ein Plagiat ist des großen Erwachens im März. So ist das, stimmt's? Dann doch lieber den Schatten suchen, den Abend und den Herbst, wenn alles grau wird wie Katzen zu nachschlafender Zeit. Die streifen herum und lauern wie Tiger auf nichts. Gestreift wie ein abgegriffenes Bild in der Hand eines einst kleinen Kindes, das meins ist und mir nicht gehört. Buh und kusch und verschwinde. Alles längst gesagt. Sie gehen von allein. So wie Gedanken und der Frühnebel und die dauerlaufende Hoffnung und der, der recht hat, mit dem was er nicht sagt. Stimmt's?

Dienstag, 18. März 2014

Pusteblume

Bochum, mit kurzem O wie in doch. Frau Bochum ist schuld. Wegen Frau Bochum muss ich nachts auf der A24, Familienfest im Rücken, Berlin zwei Stunden voraus, wenn die Kinder hinten schlafen, weil doch morgen wieder Schule ist, und Dunst in Fetzen vom Scheinwerfer zerfahren zwischen den Wäldern hängt, immer an Sommer denken und Löwenzahn auf der Wiese hinter dem Hinterhaus, da wo die Teppichklopfstange stand, über der die abbruchreifen Balkone hingen, die wir damals immer Balkons nannten, weil doch Französisch eine kapitalistische Sprache war und wir mit einer kapitalistischen Pluralbildung auch irgendwie gebildet und systemkritisch. Die Sommer waren lang, und nichts passierte außer Kindheit. Nur manchmal fielen Putzteile, die die rostigen Träger nicht mehr trugen, einfach von den Balkons in das Gras auf der Wiese hinter dem Hinterhaus. Dann taten alle so, als merkten sie es nicht, denn das hätte man doch melden müssen. Und dann wären die Balkons doch gesperrt worden und der Blick von draußen in den Himmel, der ganz frei war und blau, weil die Bäume noch und die Kleingärten, in denen sie wuchsen, sehr klein waren, weg. Weil Sperren einfacher ging als Reparieren und Sätze wie dieser verbotener waren als die Balkon-Mehrzahl des Klassenfeinds. Manchmal verschenkte Frau Bochum Mamba aus dem Westen. Mamba schmeckte immer nach Sommer und Pusteblumen und später nie wieder so wie damals. Aber vielleicht geht es dem Mamba aus Pinneberg oder Braunschweig genauso, weil doch die Kindheit geht und irgendwann weggeblasen ist und man selbst nun groß und nur ein Seufzer bleibt, ein Ach, und man kein Mamba mehr kauft und die Kinder es gar nicht kennen, weil es ja nicht bio und veggie wirbt und überhaupt die Zahngesundheit im Grundschulalter ... 
Frau Bochum war irgendwann weg. Rüber. An einem Tag im Sommer, der fortan anders schmeckte. Bei Nacht und Nebel. Das haben sie gesagt. Und Löwenzahn ist ein Unkraut. Das macht selbst Gehwege kaputt, die man dann sperrt, weil man das muss. Weil das einfacher geht als Reparieren. Frau Bochum ist schuld. Pustekuchen.

Sonntag, 16. März 2014

Zurück, Bleiben

Der Morgen macht kleine Menschen mit kleinen Augen. Sie sehen nach innen, noch in den Schlaf. Zurück, dorthin sehnen sie sich. Sie stehen am Bahnsteig, und der Wind weht die Fetzen der Station in den Tag. ...nowitzbrücke. Ganz langsam tüncht die Sonne den Tag altrosa, alexarosé, noch bevor die Türen schließen, die Nacht zurückbleibt und Vergangenheit wird, zu einem Gedanken, der Schatten wirft wie ein kunstschmiedeeiserner Zaun vor einem Garten voller Unkraut, in dem verwunschen und friedhofsschattig die Ruhe ein Grab bewohnt wie ein Zuhause mit einem Ofen am Ende des Tages, wenn es kalt wird, frisch wie es heißt, wenn nichts mehr wärmt, nicht einmal deine Worte, die der Wind in Fetzen dann in die Nacht trägt, weil doch alles gesagt ist und einmal war und nun wird: umfriedetes Erinnern.

Freitag, 14. März 2014

Klassentreffen

Heitere Hoffnungsferne wie Kirschlorbeer vor Reihenhäusern oder lauter schlechte Vorzüge, die alle verzaubern: So steht sie da. Sehr schön. Sie ist die Schönste von allen. Sie liebt den Staub, weil der sie strahlen lässt, wenn die Sonne sie trifft, wenn sie dasteht, barfuß im Sommerkleid im März im Sand, der so fein und weiß ist wie grauer Staub, der den Asphalt stumpf macht und matt wie ein seltenes Metall und auf den Blättern liegt bis zum Regen, in dessen Pfützen Öl früher bunte Schlieren gezaubert hat auf dem Weg nach Hause. Weg. So verrinnt die Zeit.

Mittwoch, 12. März 2014

Kunst

Plakate werben für Vorsorgeuntersuchungen, für die die Frauen mit Kunstledertaschen nicht mehr Zielgruppe sind. Sie tragen Pullover aus Kunstfasern in Wartezimmer und warten. Ihre Schuhe sind praktisch wie Kurzhaarschnitte ab einem gewissen Alter. Und das Leben füllt sich quadratisch wie ein Kreuzworträtsel: 6 senkrecht Polymethylmethacrylat, Wolpryla, Kunstwort DDR und knitterarm. Nichts ist echt. Nur das Warten. Das kleine Entchen und Bob, der Baumeister für unsere kleinen Patienten. Das Leben ist ein Bilderbuch, man muss gar nicht lesen können, nur schauen auf die bunte Pracht im Auge des Betrachters. Und zwischen den Seiten ein Blatt Krikelkrakelkindergartengekritzel in Bleistift und Blau. Das findet der ältere Herr beim Totschlag der Zeit. Er wendet es und lächelt. Triumphierend. Er faltet es und steckt es ein. Seine Entdeckung. Für später. 

Montag, 10. März 2014

Trabanten

Die Erinnerung ist ein Begleiter, der bisweilen untreu wird, so wie an manchen Tagen, wenn das Licht beschließt, milchig zu bleiben. Die Sonne schickt ihre Strahlen durch Nebel und Dunst ins Ungewisse, auf die Suche. Ich möchte mich ins Auto setzen und durch Straßen fahren, in denen ich nie gewohnt habe, die in meiner Kindheit neu waren, benannt nach Ludwig Renn oder Paul Dessau und mir bis heute fremd wie das Leben der Leute, die in den Häusern dort wohnen, sind. Die Häuser waren hoch und der Stolz der Republik. Und wenn der Himmel blau war, strahlten sie voller Verheißung auf Zukunft und das, was werden soll. Lachende Familien mit lachenden Kindern. Mein Bruder hat eine Schwester. Alles ist im Plan, und Vati baut mit. Wir sind der Stolz der Republik. Wir sagen Danke und flüchten uns in den milchigen Tag, an dem das Licht beschließt, Anisschnaps zu sein, der mit Wasser verdünnt wird, der diffus wird wie die Milch, die sich im Tee löst, alle Schnörkel verliert und das Schwarz noch Jahre später erhellt bis zum Beige der Kleidung rüstiger Rentner. In der Erinnerung war mein Leben nie grau, eher ecru oder kitt, so wie die harmlosen Automobile vor den republikstolzen Häusern. An machen Tagen erinnere ich mich daran, dass der Himmel helltaubengraublau werden kann, de luxe wie baumwollverstärktes Thermoplast. Ganz exquisit. Und nur für mich. 

Freitag, 7. März 2014

Hell

Der Tag ist so schön wie das Mädchen mit dem braunen Pferdeschwanz an der Ampel, über das man einen Text schreiben müsste, der so schön ist wie der erste warme Tag im März, der ihre Haare zaust mit sanftem Wind und sie die Strähnen mit einer kleinen Geste des Jungseins aus dem Gesicht streichen lässt, bevor es grün wird und ich ihr nachblicke, wie sie die Straße hinabgeht, um einem Ziel zuzustreben, das ich auch einmal hatte, aber nicht ahnte, was es war, und ich plötzlich weiß, dass mir dieser Moment der Schönheit im Sinn bleiben wird wie ein fassungsloser edler Stein.

Mittwoch, 5. März 2014

Isobare Wahrheit

Der Mittwoch ist ein Herr im Cut. Er grüßt, schon älter, kennt die Form. Er verneigt sich, hebt den Hut. Vollendet. Nichts ist ihm fremd, er ist bewandert, er weiß und kennt. Aber wenn er lacht, hat er ein Jungengesicht. Sein Weiß wird dann Blond und das Grau leuchtet: Hochnebel unter Einfluss von Hochdruck. Darüber scheint die Sonne. Das Wetter heute ist Hinterglasmalerei. Du musst das Bild umdrehen, wenn es fertig ist.

Dienstag, 4. März 2014

Jugend heute

Die Geschichten, die du erzählst, sind kurz. Wie der Prozess, den du mit der Kindheit machst, wenn du deine Arme vorstreckst und deine Hände aussehen nach Halt. Und die Ärmel sind viel zu kurz. Ganz plötzlich. Über Nacht. Und du weißt ganz viel. Kennst die Theorie und Theorien über alles. Die Verantwortung wiegt schwer und zerrt an den Schultern wie ein Jutebeutel, auf dem Das eigene Leben steht. Da geht's lang. So geht's. Und du willst es gar nicht wissen, weil du nichts ändern kannst am Sein. Weil ja niemand zur Revolution ruft heute. Weil nur der Wecker klingelt jeden Morgen und du aufstehst und dich wach wäschst mit Kaffee, der nicht schmeckt, aber schwarz ist und stark wie die letzte Nacht und die Arme, die dich manchmal halten im Traum, bis der Wecker klingelt und du aufstehst, weil ja keine Revolution ist, sondern das Bett gemacht werden muss.

Montag, 3. März 2014

Projektion

Mit der Sonne, die langsam aufgeht, im Rücken stehen die Fenster der anderen wie abendliche Häuser. Ihre Zeit wirft Schatten, lang und schmal liegen sie vor ihnen. Allein gehört die Straße ihr und ein bisschen auch die Stadt, bevor der Tag den Dienst antritt. Los. Laufen. Rennen. Schneller. Weiter und weg. Wie Staub, der sich setzt auf das, was steht, und dann gebacken wird zu Stein, der rote Häuser baut, an denen wilder Wein sein Rot im Sommer dann vergießt wie Blut und Sonnenuntergänge schon am Morgen, bevor der Tag beginnt, kann sie nicht sein, oder ist sie auch schon grau und tot? Sieh nach vorn, sagen sie. Im Rücken die Sonne geht ihr Schatten lang und schmal voran. Allein gehört die Straße ihr, allein vor allen anderen, bevor der Tag den Dienst antritt und sie sich einschließt, bevor der Tag kommt. Und die Traurigkeit.