Mittwoch, 18. Juni 2014

Frische Luft

Hamse nich jesehn, die hat die Haare jetzt janz kurz, ja, janz kurz. Doch, richtich kurz. Da steckt bestimmt 'n Kerl dahinter. Doch, na Klärchen, also hörnse mal, ick meine, warum solltese denn sonst? Und so freundlich wie die imma is. Die hat bestimmt wat am Loofen. Doch. Meinse nich ooch, die hatten Neuen? Hamse die nicht jesehn? Janz kurze Haare hat die jetze, wo die doch früha imma mit diese Locken. Richtich hübsch sah die imma aus. Man sagt doch imma, det mit die Haare, wenne Frau die abschneiden tut, det dann wat sein muss. Bestimmt 'n Kerl. Naja, wennse meint. Nee, reden tut die nicht. Imma nett Juten Tach und Juten Abend und Uff Wiedasehn, jaja, det schon. Aber sonst, nee, man weeß ja nich. Nüscht weeßte doch heutzutage. Und nachher hat wieda keener wat jewusst. 

Ich schließe die Tür hinter mir und warte, bis ihre Schritte im Treppenhaus verhallt sind, weil die Dielen im Flur so laut knarren, dass man es draußen weiß. Nichts passiert. Nur Stille. Etwas muss doch passieren! Ein Spatz fliegt gegen die Scheibe des Badezimmers. Ein Geräusch wie ein Vollgummiball in einer Pfütze auf Beton, wenn der Regen längst weg ist und das Wasser nur ein Rest. Benommen setzt er sich auf das Fensterbrett. Zwei Stockwerke, zwischen Himmel und Erde. Nirgends so ganz. Aber auf halbem Wege dahin. In der Mitte, gemäßigter Aufwand. Vernünftig. Bedacht. So wenig Unsinn im Kopf. Ich sehe ihm zu, wie er sich sammelt. Ich würde ihn ja auf ein Glas Wasser hineinbitten und fragen, besorgt, ob alles wieder in Ordnung, vielleicht eine Aspirin gegen Spatzenkopfschmerz oder so. Ich setze mich auf den Beckenrand und warte. Kühles Email. Und gebogener Rand. Füße. Von unten grau und rau. Und an der einen Stelle links, da musst du aufpassen, Kind, da darf man nicht mit Feinstrumpfhosen. Das gibt Tränen. Die haben ja mal ein Vermögen. Lange her. Alt. Nicht oh-sieh-doch-nur-ein-original-alt, sondern ach-noch-nicht-gemacht-alt. Übriggeblieben. Lange her. Plusquamperfekt. Hinter der Scheibe wie hinter Glas: Der Spatz sitzt da. Fragt er sich, ob bei mir alles in Ordnung ist? Ich rede mit Spatzen? Vielleicht würde er mir zu frischer Luft raten. Die soll ja Wunder wirken. Spazieren. Park. Bank. Oder so. Aber Pärchen. Jetzt fliegt er fort. Dabei wollte ich ihn noch fragen, was er von kurzen Haaren hält. Ich strecke meinem Spiegelbild die Zunge heraus und kann sie schon hören, wie sie fragen wird: "Wie denn, Sie jetze ooch?", und dann lache ich und sage: "Auf Wiedersehen", immer freundlich, immer nett, und gehe an ihr vorbei. Alles in bester Ordnung. Bestimmt.

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