Samstag, 1. November 2014

Später

Müde dreht er den Schlüssel herum. "Ich bin's", ruft Herr D., zieht die Schuhe aus, versieht sie mit Spannern, hängt sein Jackett an die Garderobe und füllt die Leere, die tagsüber dort herrscht. "Ja", sagt er und: "Wie immer", "Hab ich unterwegs" und "Nee, nur müde, ich komm gleich, Marie", und sitzt noch auf ein Bier allein in der Küche, im Dunkeln, schaut in das Dunkel der Küche, dreht die Flasche und das Bier zum Strudel, den er im Dunkeln der Küche nicht sieht. "Erprobung offenporiger Asphalt km 212 - 206" stand auf dem Schild, fällt ihm ein. "Offenporig", flüstert Herr D. Er hört seine Stimme und denkt bei dem Wort an ein Herz, das tropft wie eine Plastiktüte mit nadelgestochenen Löchern, in der etwas wie Traurigkeit oder Glück gefroren war, fest, etwas, das vielleicht in dem milden Herbstlicht und der letzten Wärme eines späten Sommertags taut und nach außen tritt. Versuchsweise. Zur Probe. Herr D. steht langsam auf, stellt die Flasche leer in den Kasten. Alles hat seinen Platz, auch Herr D. "Schlaf gut", küsst er Marie auf die Stirn, die er liebt, schon lange und immer, und merkt, dass sie längst schläft. Es ist spät. Herr D. löscht das Licht und den Fernseher und hört auf das Rauschen, draußen vor dem Fenster: Herbst bald. Man sieht es noch nicht, merkt nur, dass die Einfahrt gefegt werden müsste. Herr D. denkt, so fängt es wohl an. Und man merkt es nicht. Nur später wird man sich daran erinnern und suchen und denken, da hat es wohl angefangen. Der Wind trägt die Geräusche der Kleinstadt am offenen Fenster vorbei: Autobahn, Anschluss und Glockenturmschlagen. Erprobung, Versuch, Strecke, Kaninchen. "Mein Hase", so nennt er Marie. Er hört ihren Atem, sie schläft, und er ist ganz allein, ganz allein in der Nacht, und die Zeit gehört ihm. Und er sieht aus dem Fenster ins Dunkel der Krone der Spätsommerlinde. Er küsst Marie. Bald ist Herbst. Dann wird er die Sterne sehen können durch das kahle Geäst. Herr D. lächelt: kahl, klar und schön.

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